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Vier Fragen an den Physiker und Ozeanografen Mathurin

In dieser Gesprächsreihe spricht das Projektteam des Climate Data Entrepreneurial Club mit jungen Menschen, die sich in verschiedenen Projekten mit Daten für nachhaltige Entwicklung beschäftigen, um zu erfahren, was sie an dieser Arbeit begeistert: Mathurin ist Doktorand in Ozeanographie an der Universität Lüttich. Während seines Physikstudiums in Deutschland und in Spanien begann er sich für Klimawissenschaften zu interessieren und forscht nun an dieser Schnittstelle. Wie er dazu kam und was er gerne früher gewusst hätte, beantwortet er in diesem Interview.

Wie würdest du dein Dissertationsthema einem jungen Menschen erklären?

In meiner Dissertation beschäftige ich mich mit der computergestützten Modellierung ökologischer Prozesse in den Meeren mithilfe der Physik, der Biologie, der Chemie und der Geologie. Das klingt nach vielen Fachgebieten auf einmal, und die sind auch notwendig, um die komplexe Rolle der Meere im Klimasystem zu verstehen. Zum Beispiel spielen Mikroorganismen wie Algen nicht nur eine grundlegende Rolle in der Nahrungskette, sondern sind auch wichtig für die Aufnahme von Kohlendioxid aus der Atmosphäre und die Produktion von lebenswichtigem Sauerstoff.

Kohlenstoffdioxid (CO2), das Gas, das beim Treibhauseffekt eine große Rolle spielt, wird zum Beispiel im Wasser gelöst. Dadurch nehmen die Weltmeere einen großen Teil der Emissionen auf. Solche Prozesse werden wiederum von der Temperatur, dem Salzgehalt und auch von den Meeresströmungen beeinflusst. Daher ist es wichtig, physikalische und sogenannte biogeochemische Prozesse zusammen zu modellieren. Das ist aber noch ein recht junges wissenschaftliches Gebiet.

Die computergestützte Modellierung erlaubt es, vermutete Zusammenhänge zu untersuchen. Die Rolle von Modellen besteht darin, die Realität zu vereinfachen und auf eine Reihe von Formeln herunterzubrechen, um das "Warum" hinter den Messdaten zu erklären. Durch den Einsatz von Computern ermöglichen uns diese Modelle, Variablen für den gesamten Ozean zu berechnen, einschließlich solcher, für die es keine direkten Messungen gibt, und Szenarien, z.B. steigender Treibhausgas-Emissionen und Temperaturen durchzuspielen.

In meinem Dissertationsprojekt an der Universität Lüttich in Belgien geht es konkret um die Modellierung von Sedimenten im Schwarzen Meer. Diese Sedimente können entweder biologischen Ursprungs sein, in Form von abgestorbenen Mikroorganismen, oder nicht-biologischen Ursprungs, in Form von Sand und anderen Mineralien, die vom Meeresboden und von Flüssen stammen. Diese Sedimente lagern sich entweder am Meeresboden ab oder verbleiben im Wasser und beeinflussen so den Lichteinfall und damit biologische Prozesse wie die Photosynthese im Wasser. Meine Aufgabe besteht darin, die Darstellung von Sedimenten in einem Ozeanmodell zu verbessern, zu untersuchen, wie sie das Ökosystem beeinflussen und inwieweit die modellierten Daten mit Satellitendaten übereinstimmen.

Du bist eigentlich Physiker und arbeitest aktuell an der Schnittstelle von Datenverarbeitung, Klima und Erdbeobachtung und Programmieren. Wie treffen sich diese Themen und was nimmst du aus dieser interdisziplinären Arbeit mit?

Im Rahmen meiner Forschung muss ich mit großen Mengen an Daten umgehen, sowohl mit Daten, die ich selbst mithilfe des Modells erstelle, als auch mit Datensätzen von Satelliten, die zur Validierung der Modellergebnisse verwendet werden können. Diese Datensätze enthalten beispielsweise Abschätzungen zur Chlorophyll- oder Sedimentkonzentration im Wasser.

Um diese Millionen Datenpunkte effizient auszuwerten, sind Programmierkenntnisse und ein Verständnis von Datenstrukturen entscheidend. Darüber hinaus können mathematische Tools dazu beitragen, die wichtigsten Informationen aus den Daten zu extrahieren, da es schlichtweg zu viele Datenpunkte gibt, um sie manuell zu überprüfen. Diese Arbeit ermöglicht es mir, gleichzeitig über das Klima, Ökosysteme und die Auswertung von Daten zu lernen. So habe ich das befriedigende Gefühl, nicht nur wissenschaftliche Forschung im dunklen Winkel eines Elfenbeinturms zu betreiben, sondern verschiedene Fachgebiete in einen Austausch zu bringen. Dabei lerne ich auch viel für mein Allgemeinwissen.

Was denkst du, wie können Schüler*innen von der Einbindung der Themen im schulischen Kontext profitieren?

Das Klimasystem ist angesichts der Klimakrise ein äußerst relevantes Anwendungsbeispiel für Datenauswertung und Programmieren. Mit frei verfügbaren Daten und Softwaretools kann z.B. der erdgeschichtlich betrachtet schnelle Temperaturanstieg der letzten 100 Jahre leicht visualisiert werden.

Die Vermittlung grundlegender Fähigkeiten in Datenauswertung und -visualisierung schult das logische Denken, da sie immer die Anwendung grundlegender mathematischer und statistischer Operationen beinhaltet. Der Umgang mit realen Daten ist auch sehr hilfreich, um die Theorie physikalischer Zusammenhänge in der Atmosphäre und im Ozean besser zu verstehen und zu zeigen, dass es sich keineswegs um rein abstrakte Konzepte handelt.

Während meiner Schulzeit gab es leider keine solche Verknüpfung von Themen. Das Programmieren blieb mir trotz meiner Vorliebe für die Fächer Geografie und Physik bis tief in mein Physikstudium fremd. Mit einem solchen Projekt kann bereits früh vermittelt werden, dass man mit einem grundlegenden Verständnis für Programmierung viele spannende Dinge erkunden kann.

Was hättest du gerne am Anfang deiner akademischen Laufbahn über die Arbeit mit Erdbeobachtungsdaten gewusst?

Zu Beginn meines Physikstudiums hatte ich überhaupt keine Vorstellung davon, dass die Auswertung von Erdbeobachtungsdaten auch in den Tätigkeitsbereich von Physiker*innen fällt und dass auch ich mit meiner Ausbildung zum Verständnis des Klimasystems beitragen kann. Allgemein habe ich die Bedeutung des Programmierens für Absolvent*innen in der Physik unterschätzt, und ich dachte lange Zeit, dass dies nichts für mich sei, weil mir die Berührungspunkte fehlten. Ich hätte gerne früher realisiert, dass es im Wesentlichen darum geht, Formeln von einem Computer auswerten zu lassen, und dass es gar nicht so schwierig ist, sich damit vertraut zu machen.

Als ich dann vor allem zum Abschluss meines Masterstudiums mit Erdbeobachtungsdaten gearbeitet habe, stellte ich zum Glück schnell fest, dass es für die effiziente Auswertung eine Vielzahl sehr guter frei zugänglicher Softwaretools gibt, die von einer Open-Source-Community entwickelt wurden. Der Vorteil solcher Software besteht darin, dass man leicht Antworten auf verschiedene Problemstellungen im Internet finden kann oder direkt in Foren Fragen stellen kann, wenn man nicht weiterkommt. Auch findet man im Umkreis seiner Kolleg*innen oft Personen, die sich gut auskennen und ihre Expertise gerne teilen. 

Eine sehr wichtige Entwicklung in der Wissenschaft ist meiner Meinung nach auch, dass immer öfter der Computercode und die Daten hinter wissenschaftlichen Veröffentlichungen frei zugänglich gemacht werden. Dadurch kann ich oft noch besser als durch den reinen wissenschaftlichen Text verstehen, was die Wissenschaftler*innen konkret getan haben, um zu ihren Ergebnissen zu kommen. Die positive Rolle von Open-Source und Open-Data ist mir erst in den letzten Jahren bewusst geworden.

 



Legende

Dissertation: Die wissenschaftliche Arbeit, die man schreiben muss, um einen Doktortitel zu erhalten.

Modellierung: Erstellung eines Modells, um ein wissenschaftliches Phänomen besser erklären zu können.

Biogeochemische Prozesse: chemische, biologische und physikalische Prozesse, welche dem Aufbau und den Funktionen von Ökosystemen oder Landschaften zu Grunde liegen.

Treibhausgas-Emissionen: Ausstoß von klimaschädlichen Gasen (z.B. CO2, Methan) in die Umwelt.

Sedimente: Gesteine, die durch Ablagerungen von Gesteinspartikeln, gelöstem Material oder Pflanzen & Tieren entstanden sind.

Photosynthese: Grüne Pflanzen erzeugen mithilfe grüner Chloroplasten aus Kohlenstoffdioxid und Wasser Glucose und Sauerstoff. Die Energie der Sonnenstrahlen wird verwendet, um Zucker und Sauerstoff herzustellen.

Extrahieren: Trennverfahren, bei dem Informationen aus Daten gezogen werden.

Validierung: Ein dokumentierter Beweis, dass spezifische Anforderungen erbracht wurden.

Open-Source: Lizenz, bei der der Quellcode einer Software ist frei zugänglich zur Verfügung steht.

Open-Data: Daten, die von allen zu jedem Zweck genutzt, weiterverbreitet und weiterverwendet werden dürfen.

Mathurin Choblet im Gespräch mit dem CDEC
Mathurin Choblet im Gespräch mit dem CDEC